Gelfand spielt auf Sieg, Anand verteidigt beeindruckend in Runde 9 der Weltmeisterschaft. Noch ein Remis! Der Spielstand damit aktuell 4,5 zu 4,5.
Die Kommentare heute wieder von DJEM-Trainer Benjamin Tereick. Viel Spaß beim Lesen und Varianten durchspielen!

WM-Finale 2012, Viswanathan Anand - Boris Gelfand, Moskau.
Runde 9 (PGN-Download)


1. d4 Sf6 2. c4 e6
Anand verfolgt die gleiche Strategie wie im Match gegen Topalov: Bei einer Niederlage wird die Schwarzeröffnung gewechselt. Nach der Niederlage mit Halbslawisch am Sonntag nun also Nimzoindisch.

3. Sc3
(Gelfand verzichtet darauf, mit 3. g3 in die Katalanische Eröffnung überzugehen. Hier gilt Gelfand zwar als einer der Experten, aber in letzter Zeit war Schwarz in den Hauptvarianten sehr solide.)
(Gelfand hatte offenbar ebenfalls wenig Lust auf 3. Sf3 d5 4. Sc3 Le7 wo Weiß maximal mikroskopischen Vorteil nachweisen kann. Man kann 3. Sc3 daher auch als Signal verstehen, dass Gelfand nach seiner schmerzhaften Niederlage vom Montag nicht auf Sicherheitsschach aus ist, sondern mit Weiß den vollen Punkt anstreben will.)

3... Lb4 4. e3 O-O 5. Ld3
Die Hauptvariante.
(Auch 5. Sge2 hat Gelfand schon gespielt. Nach 5... d5 6. a3 Le7 7. cxd5 Sxd5 hat Schwarz aber zuletzt immer zuverlässig ausgeglichen.)

5... d5 6. Sf3 c5 7. O-O dxc4 8. Lxc4 cxd4
Anand spielt wie Topalov es gegen ihn getan hat.
(8... Sc6 9. a3 Lxc3 10. bxc3 Dc7 ist eine andere klassische Möglichkeit.)

9. exd4 b6 10. Lg5 Lb7 11. De2 Sbd7
(11... Lxc3 ist die Hauptvariante. Im Vergleich zur Partie hat dies den Vorteil, dass der Turm auf a8 flexibler ist und erst nach c8 gehen kann, wenn dies keine taktischen Probleme bringt.)

12. Tac1 Tc8 13. Ld3 Lxc3
Ein üblicher Zug in dieser Variante. Schwarz gibt das Läuferpaar auf, um Spiel gegen die weißen Hängebauern im Zentrum zu bekommen. die gewünschte Aufstellung ist Dc7, Tfe8 mit späterem e6-e5.

14. bxc3 Dc7 15. c4 Lxf3
Dieser Tausch allerdings erscheint etwas verfrüht. In der Pressekonferenz sagte Anand, dass er in der Zugfolge durcheinandergekommen sei. Möglicherweise bezog er sich auf diese Stelle. Normalerweise spielt man mit Schwarz nur in dieser Weise, um dem Springer die Kontrolle über das Feld e5 zu entziehen und direkt mit e6-e5 fortzusetzen. Dies ist aber in der konkreten Stellung hier nicht möglich. Daher sollte Schwarz vielleicht erst einmal mit 15... Tfe8 fortsetzen.
(oder mit 15... h6 16. Lh4 Df4 17. Lg3 Dg4 wie Daniel King für chessbase.de vorgeschlagen hat.)

16. Dxf3 Tfe8
[16... e5 17. Lf5 ist das Problem. Die Fesselung ist sehr unangenehm. Vorstellbar ist, dass Anand eine Variante vorbereitet hatte, in der der Turm nicht auf c8 steht (siehe Kommentar zum 11. Zug) und erst später merkte, dass dies einen beträchtlichen Unterschied macht. 17... Tce8
(17... exd4 18. Lxf6 Sxf6 19. Lxc8 Dxc8 20. Df4 mit unzureichender Kompensatuon für die Qualität.) 18. Dg3]

17. Tfd1 h6 18. Lh4 Dd6
ein origineller Verteidigungszug, der Gelfand zu einer kleinen Kombination einlädt.

19. c5
Prinzipiell gespielt. Aber vielleicht ist das nicht das Beste.
[Die schwarze Idee besteht darin, nach 19. Lg3 mit Db4 mit der Dame die schwarzen Schwächen am Damenflügel unter Druck zu setzen. Allerdings spielt 19. Lg3 Schwarz in die Hände.]
[stark erscheint 19. a3. Der Bauer ist wegen des Abzugsschach natürlich unantastbar. Außerdem wird der Dame das Feld b4 genommen und es ist nicht leicht, etwas Konstruktives für Schwarz vorzuschlagen. Gilberto Milos analysiert für chessbase.com:
Der beste Zug ist laut Milos 19... De7 (19... Db8 20. Lg3 Da8 21. Dxa8 Txa8 22. c5) (19... Dc6 20. Dxc6 {20. Lf5} 20... Txc6 21. c5) 20. Te1 Dd6 die schwarzen Damenzüge deuten bereits an, dass die Stellung nicht besonders bequem für Schwarz ist. 21. Tcd1 Dc6 22. Dxc6 Txc6 23. f4 mit einem klar besseren Endspiel für Weiß, der das Läuferpaar besitzt und keinerlei schwarzes Gegenspiel fürchten muss. Weiß breitet sich womöglich am Königsflügel aus und bereitet langsam die Durchbrüche d4-d5 oder c4-c5 vor. (23. c5 bxc5 24. Lxf6 gxf6 25. Lb5 Tc7 26. dxc5 Te7 27. c6 Se5 ist nicht ganz klar.)]

19... bxc5 20. dxc5 Txc5 21. Lh7+
Die Pointe. Weiß erlangt leichten materiellen Vorteil. Allerdings bleibt die schwarze Stellung sehr solide.

21... Kxh7 22. Txd6 Txc1+ 23. Td1 Tec8 24. h3 Se5 25. De2 Sg6
beseitigt forciert den schwarzfeldrigen Läufer - auf Kosten einer leichten Schwächung der Bauernstruktur am Königsflügel.
(25... T8c2 26. Df1 Txd1 27. Dxd1 funktioniert gut für Weiß, da Txa2 an 28. Db1+ scheitert.)
(25... Sd5 war aber möglich.)

26. Lxf6
(nach 26. Lg3 T8c2 27. Df1 Txd1 28. Dxd1 Txa2 gibt es kein Schach mehr auf b1 und die Stellung ist unverlierbar für Schwarz.)

26... gxf6 27. Txc1 Txc1+ 28. Kh2
der Nebel hat sich verzogen und Schwarz steht ein langer Kampf ums Remis bevor. Die Chancen auf Erfolg stehen aber gut, da die Schwächen f6 und a7 zuverlässig gedeckt werden können. Der einzige Gewinnplan für Weiß ist, Schwächen am Königsflügel zu schaffen und dann mit König und Dame auf Matt zu spielen. Ironischerweise lässt Anand genau diesen Plan in der Partie zu - nicht aber ohne eine präzise Verteidigung vorbereitet zu haben.

29... Tc7 29. Db2 Kg7 30. a4 Se7 31. a5 Sd5
von hier kann der Springer praktisch nicht mehr vertrieben werden.

32. a6 Kh7 33. Dd4 f5
das ist eine sehr konkrete Maßnahme. Es wäre für Schwarz auch sicherlich möglich gewesen, weiter abzuwarten. Anand sieht aber, dass der jetzt auf der Hand liegende weiße Plan nicht zum Erfolg führt.
(Mit anderen Worten: Mir ist nicht ganz klar, wie Weiß nach z.B. 33... Kg7 weiterkommt. Aber vielleicht war das Remis nach 33. f5 noch klarer für Anand.)

34. f4
Auch Gelfand spielt sehr verpflichtend.
(vermutlich sah er nach 34. g4 f4 keinen Weg, vorwärts zu kommen.)

34... Td7 35. Kg3 Kg6
Schwarz stoppt den Vormarsch des schwarzen Königs nach h5...

36. Dh8
... lässt dabei die weiße Dame nach h8...

36... Sf6
... um aber schließlich alle Felder um seinen König gedeckt zu halten.

37. Db8 h5
erneut ein überraschender Bauernvorzug, der Weiß taktische Möglichkeiten eröffnet. Die Weiße Dame kann nun am Königsflügel eindringen. Allerdings hat Anand berechnet, dass Weiß so keinen entscheidenden Vorteil herausholen kann. Da h7-h5 auch g2-g4 aus der Stellung nimmt, hält Schwarz die Partie jetzt klar Remis. Eine sehr beeindruckende Verteidigungsleistung von Anand, die aber vielleicht trotzdem nicht zur Nachahmung empfohlen werden kann (man stelle sich vor, er hätte sich in den kommenden Zügen verrechnet...).

38. Kh4 Kh6 39. Db2 Kg6 40. Dc3 Se4 41. Dc8
(Die Pointe ist, dass nach 41. Df3 Td8 Weiß zwar mit Schach auf h5 schlagen kann. Doch nach 42. Dxh5+ Kg7 gibt es keine Möglichkeit der Drohung Th8(+) zu begegnen: Schwarz gewinnt!)

41... Sf6
Nun fällt die schwarze Verteidigung vergleichsweise einfach, Gelfand versucht noch seinen letzten verbliebenen Durchbruch

42. Db8 Te7 43. g4 hxg4 44. hxg4 fxg4
(44... Sxg4 45. Dg8+ Kh6 46. Dg5+ verliert den Turm.)

45. De5
droht Dg5+ mit Materialgewinn.

45... Sg8 46. Dg5+ Kh7 47. Dxg4 f6
alle schwarzen Figuren sind gedeckt!

48. Dg2 Kh8 49. De4 Kg7
und es wurde Remis vereinbart. Weiß kann keinerlei Fortschritte machen.
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